Tibber startet in Deutschland mit besonderem Geschäftsmodell

Tibber startet in Europa durch

Drei Monate nach der ersten Ankündigung war es gestern Abend um 20 Uhr soweit. Das norwegische Startup Tibber hat in seinem Online-Launch-Event, der live aus Oslo übertragen wurde, verschiedene Neuigkeiten zum Unternehmen vorgestellt, darunter den Vertriebsstart in Deutschland, den Markteintritt in fünf weiteren europäischen Ländern sowie verschiedene neue Kooperationen.

Da nun alle relevanten Informationen verfügbar sind und der Wechsel über die App auch schon funktioniert, haben wir uns das Konzept und dessen Umsetzung einmal etwas genauer angeschaut.

Der Preis:

Tibber beschafft Strom kurzfristig am Spotmarkt und gibt nur die tatsächlich angefallenen Kosten weiter. Wenn man seine aktuellen Kosten durchrechnen will, wird derzeit in München ein Energiepreis von 21,89 Cent zugrunde gelegt. Dieser Preis beinhaltet Messentgelte, Umlagen, Konzessionsabgabe und Steuern und ist damit im Vergleich zu Standard-Angeboten um einiges günstiger. Bei steigenden Börsenpreisen ziehen die Kosten natürlich sofort mit, so dass sich erst im Nachhinein herausstellen wird, ob man mit dem Modell finanziell besser fährt als bei einem herkömmlichen Anbieter, der vorausschauend beschafft.

Tibber selbst verdient Geld über eine monatliche Service-Gebühr in Höhe von 3,99 Euro brutto (3,35 Euro netto).

Das eigentliche Ziel von Tibber ist es aber, dem Kunden ein smartes Ökosystem an Geräten und Dienstleistungen zu bieten, über das dann der Löwenanteil des Ertrags erwirtschaftet werden soll. Es gibt den Tibber-Store, in dem die Kunden Smart Home-Geräte, Philiphs Hue-Lampen etc. erwerben können. Darüber hinaus wird auch Ladeinfrastruktur etc. angeboten. Insgesamt gibt es die fünf Produktkategorien Smart Home, Beleuchtung, Smart Charging, Smart Heating und Solar. Es können auch Nicht-Kunden im Tibber-Store kaufen. Wer Stromkunde ist, erhält allerdings einen Rabatt auf die Produkte. Am spannendsten ist aber sicherlich, dass die Smart Home-Funktionalitäten, die Heizungssteuerung oder die Ladevorgänge alle über die Tibber-App gesteuert werden können.

Die AGB:

Tibber beliefert SLP-Stromkunden mit einem Jahresverbrauch bis 100.000 kWh. Basis für die Berechnung der Entgelte ist ein konventioneller Zähler oder eine moderne Messeinrichtung.

Wer einen Smart Meter nutzt, kann einen stundengenauen Tarif wählen. Ansonsten wird ein durchschnittlicher Preis pro Monat ermittelt.

Beim stundengenauen Tarif wird trotzdem ein Abschlag auf Basis des zu erwartenden Jahresverbrauchs ermittelt. Ob eine monatliche Abrechnung der tatsächlich angefallenen Kosten erfolgt, ist aus den AGB nicht eindeutig abzulesen. Es ist aber davon auszugehen, dass das in Zukunft geplant ist.

Bei der stundengenauen Abrechnung ändert sich der Preis kontinuierlich. Bei der monatlichen Abrechnung erfolgt 10 Tage vorher eine Information des Kunden über den Preis für den Folgemonat in Textform. Jede Preisänderung ist mit einem Kündigungsrecht des Kunden verbunden. Darüber hinaus liegt die normale Kündigungsfrist ohnehin nur bei einem Monat zum Monatsende, so dass jederzeit die Möglichkeit besteht den Versorger zu wechseln.

Interessant ist, dass laut AGB derzeit nur das SEPA-Lastschriftverfahren angeboten wird.

Vertrieblich ist Tibber naturgemäß mit Online-Werbung und in den sozialen Medien präsent. Um auch von Kundenempfehlungen zu profitieren, gibt es eine Kampagne zur Freundschaftswerbung, bei der der Empfehler und der Empfohlene jeweils 50 Euro erhalten.

Insgesamt wirkt Tibber fair und kundenfreundlich, insbesondere aufgrund der Preistransparenz und der kurzen Vertragslaufzeiten. Da der Preis schwanken kann, lässt sich über potenzielle Kostenvorteile nichts sagen. Darum geht es Tibber aber mit Sicherheit nicht.

Was macht Tibber nun so besonders?

Zuerst einmal muss man Tibber zugestehen, dass das Konzept durchdacht ist und dass sich das Unternehmen als moderner Energiedienstleister aufstellt, der seinen Kunden ganzheitliche Energielösungen anbietet. Für ein Startup aus Skandinavien ist das sicherlich auch leichter als für einen etablierten Versorger, der sich nicht ganz so leicht über die vorhandenen Strukturen hinwegsetzen kann, um ein neuartiges Geschäftsmodell umzusetzen. Vom Gesamtkonzept her entspricht Tibbers Ansatz aber in vielerlei Hinsicht dem Zielbild von Versorgern, die sich vom reinen Lieferanten zum Energie-Kümmerer ihrer Kunden entwickeln möchten.

Die zentralen USPs von Tibber sind aus unserer Sicht folgende:

  1. Der Preis kann zumindest vordergründig kein Argument mehr für die Kündigung des Tibber-Vertrags sein. Wer den Vertrag abschließt, nimmt regelmäßige Preisänderungen nicht nur in Kauf, sondern lässt sich bewusst darauf ein. Wenn die Börsenpreise über längere Zeit sehr hoch sein sollten, könnte es zwar zu vermehrten Kündigungen aus Kostengründen kommen. Bis dahin könnten die Kunden aber bereits so tief im Tibber-Universum verfangen sein, dass sie die finanziellen Vorteile an anderer Stelle sowie den Services und den Komfort der Tibber-App nicht mehr missen möchten. Wenn das Konzept aufgeht, könnte sich eine Art „Amazon-Effekt“ einstellen, der die Kunden dauerhaft bindet.

  2. Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen sind irrelevant. Der Kunde kann jederzeit mit einer Frist von einem Monat kündigen. Sofern es zu Unzufriedenheit kommt, sind die vertraglichen Wechselhürden gering, die emotionalen aber möglicherweise, wie unter Punkt 1 beschrieben, sehr hoch.

  3. Die Service-Gebühr: Die Gebühr ist notwendig, da ja über die externen Kosten hinaus auch die Abwicklung, die Mitarbeiter, der Vertrieb etc. finanziert werden müssen. Der Betrag ist aber sehr niedrig gewählt. Andere Unternehmen, wie bspw. 4hundred, nehmen 8 Euro pro Monat. Das ist dann schon eine ganz schöne Marge, aber auch ein anderes Geschäftsmodell.

  4. Die Tibber-App vereint alle Services und steuert sie auch zentral: Die Lampen von Philips kann man nicht nur im Shop kaufen, sondern auch über die Tibber-App bedienen. Mit Integrationen für verschiedene Autohersteller kann man über die Tibber-App den Ladezustand des Fahrzeugs sehen, den Ladevorgang managen und sich dann an einem kostenoptimierten Ladevorgang erfreuen. Genauso funktioniert es mit der Heizungssteuerung und allen anderen Leistungen, die Tibber anbietet. Man verkauft dem Kunden nicht ein Produkt, das er dann individuell mit den jeweiligen Hersteller-Apps steuert, sondern integriert alle Leistungen in die Tibber-App, die dann Dreh- und Angelpunkt für alle Energiethemen ist. Das gibt der App eine Berechtigung, weil man sie im Zweifel mehrmals täglich nutzt und es schafft ein Ökosystem, das der Kunde vermutlich nicht verlassen wird, wenn der Strompreis wegen der Börsenpreisentwicklung um fünf Cent steigt. Tibber ist also kein Stromlieferant, sondern eine Energie-Plattform, die durch die Verbindung vieler Leistungen Mehrwerte generiert. Genau dieses Konzept hatten wir im Energiemarktreport 2015 im Schwerpunktthema „Digitalisierung“ als Zielbild der Plattformökonomie beschrieben. Gerne schicken wir Ihnen das Schwerpunktthema von damals, das immer noch recht aktuell ist,  auf Anfrage kostenlos zu.

  5. Die Internationalisierung: Auf den ersten Blick irrelevant, spielt die internationale Expansion des Unternehmens mittelfristig doch eine wichtige Rolle. Schon heute kann, wer zufällig in Schweden oder Norwegen ein Ferienhaus hat, dessen Stromkosten über die Tibber-App in Euro abrechnen. Die Funktionen der App werden jetzt auch in Holland, Spanien, Dänemark, Finnland und Frankreich verfügbar gemacht, auch wenn dort noch kein Stromvertrag abgeschlossen werden kann. Es ist denkbar, dass man künftig über die App auch im jeweiligen Ausland sein Elektro-Fahrzeug laden oder andere Tibber-Services in Anspruch nehmen kann. Die internationale Abdeckung hilft zudem, die Anzahl der Nutzer schnell zu steigern, Kostenvorteile bei der Beschaffung zu erzielen und den Tibber-Kunden wiederum mehr Vorteile zu verschaffen.

Wie viel Potenzial hat Tibber im Wettbewerb?

Natürlich werden erst einmal die technikaffinen Elektroautofahrer und Smart Home-Nutzer auf Tibber abfahren. Das Unternehmen besetzt heute eine kleine Nische, die aber rasant wachsen wird. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung des Produktportfolios und der App sowie durch die Expansion in viele weitere Länder kann Tibber sich aber mittelfristig zu einem wichtigen Wettbewerber im deutschen Energiemarkt entwickeln, der nur schwer aufzuhalten ist.

Als Energieversorger lohnt es sich in jedem Fall, das Geschäftsmodell von Tibber genauer unter die Lupe zu nehmen und sich für die Weiterentwicklung der eigenen Strategie Denkanstöße zu holen. Gerne unterstützen wir Sie dabei!

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