Studie der TU Berlin untersucht Wettbewerbsvorteil Regionalität
In dem auf drei Jahre angelegten, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 190.000 Euro geförderten Projekt „Die Rolle von Stadtwerken in der Energiewende“ haben Forscher der TU Berlin und der Universität Hohenheim neue Geschäftsmodelle für Stadtwerke untersucht. Ein zentrales Ergebnis des Projekts, das im April 2016 beendet wurde, ist ein Marktmodell, in dem die Interessen und Handlungsoptionen der Anbieter (Stadtwerke) und der Nachfrager (Privat- und Gewerbekunden) mittels einer Computersimulation modelliert werden. Um das Modell mit empirischen Daten zu unterfüttern, wurden repräsentative Umfragen unter privaten Energieverbrauchern und Gewerbebetrieben durchgeführt. Dabei wurde insbesondere bei den Privatkunden u.a die Gewichtung der Faktoren Preis, ökologischer Strommix und regionale Nähe erfragt.
„Marke Stadtwerke“ erlaubt höhere Preise und schafft Vertrauen
Anhang der empirischen Daten simulierte das Modell das Wechselverhalten der Privatkunden, die zwischen Stadtwerken, Ökostromanbietern und überregionalen Anbietern mit unterschiedlichem Preis und Strommix wählen konnten. Die Gewichtung des Faktors Regionalität führte dazu, dass die Kunden nur selten zu einem anderen Energieunternehmen wechselten. Wenn sie wechselten, dann bevorzugten sie regionale Anbieter und wiesen diesen gegenüber eine höhere Zahlungsbereitschaft auf. Studienautor Malcom Yadack kommentierte das Ergebnis so: „Eigentlich sollte die Liberalisierung niedrigere Preise bewirken, aber der Effekt der Regionalität wirkt dagegen“.
Im Gewerbekundenmarkt hingegen wurde die Bereitschaft zur Teilnahme an Maßnahmen der flexiblen Laststeuerung (Demand Side Management) untersucht. Den Befragungsergebnissen und der darauf aufbauenden Simulation zufolge erwiesen sich die Betriebe als zurückhaltend. Dies lag allerdings weniger an der Technik oder der Höhe der Vergütung, sondern am mangelnden Vertrauen, einen Energieversorger in den Produktionsablauf des Unternehmens eingreifen zu lassen. Laut Studienautoren sollen Stadtwerke in dieser Hinsicht einen Vorteil haben, da ihre Nähe zum Kunden Vertrauen schaffe.
Befragung echter Wechsler bringt Praxisnähe
Die Computersimulation der Forscher kommt zu Ergebnissen, die mit allgemeinen Beobachtungen des echten Energiemarkts übereinstimmen: Die meisten privaten Energiekunden sind auch fast 20 Jahre nach der Strommarktliberalisierung ihrem lokalen Energieversorger treu geblieben und die wenigsten Gewerbebetriebe nehmen trotz erheblicher Erlöspotentiale an Demand Side Management-Programmen teil. Eine Lücke bleibt bei der Untersuchung jedoch bestehen: Eine Befragung unter Bestandskunden, was ihnen bei der Wahl eines Stromanbieters wichtig ist, basiert zum größten Teil auf Angaben von Kunden, die noch nie den Anbieter gewechselt haben. Damit kann sie nur hypothetische Wechselmotive ermitteln und ist daher für den operativen Energievertrieb nur bedingt relevant.
Die Vertriebskanalstudie Energie, die jährlich u.a. 1.000 echte Stromwechsler zu ihrem letzten Versorgerwechsel befragt, kommt bspw. zu deutlichen anderen Ergebnissen als die Computersimulation. So ist bspw. ein günstiger Preis für fast alle echten Wechsler einer der wichtigsten Wechselgründe. Dass der neue Anbieter vor Ort präsent oder ein regionales Unternehmen ist, spielt hingegen eine untergeordnete Rolle: Faktoren wie Service, Bekanntheit und Ökologie des Anbieters waren den Wechsler deutlich wichtiger. Zudem haben sich rund drei Viertel der Stromwechsler für einen überregionalen Anbieter entschieden.
Insgesamt liefert die Vertriebskanalstudie valide Erkenntnisse, die zur Erhöhung des Vertriebserfolgs und der Kundenbindung genutzt werden können. So lässt sich bspw. die Bleibeabsicht der Neukunden in Abhängigkeit der von ihnen gewählten Tarifbestandteile feststellen.
Die aktuelle Vertriebskanalstudie 2016 ist seit Juni erhältlich.