Energiemarkt 2022 – Herausforderungen und Chancen für Energieversorger
Der Jahresbeginn ist nach wie vor von der Energiepreiskrise und vom Umgang damit geprägt und wird uns wohl noch einige Monate in Atem halten. Die Transformation der Energiebranche schreitet aber weiter ungebremst voran und verlangt von Energieversorgern, ihre Strategien neu zu bewerten, neue Geschäftsfelder zu besetzen und sich zu kundenzentrierten, digitalen Dienstleistern weiterzuentwickeln.
Wir haben zum Jahresbeginn einige strategische und operative Themen herausgesucht, die zeigen, wo Handlungsbedarf entsteht und wo Potenziale liegen.
1. Bundesweiter Vertrieb oder regionale Wertschöpfung
Es ist und war für viele Stadtwerke ein logischer Schritt, Kundenverluste im Heimatmarkt durch bundesweiten Vertrieb zumindest auszugleichen. Angesichts der großen Herausforderungen, vor denen jeder Versorger im Heimatmarkt steht – es geht darum, sich vor dem Hintergrund der Energiewende, der Digitalisierung und der Transformation der Energiebranche gegen eine neue Qualität von Wettbewerbern ganz neu aufzustellen – ist allerdings die Frage, ob man mit begrenzten Ressourcen diese beiden, sehr unterschiedlichen Themenbereiche erfolgreich bewältigen kann.
Der Wettbewerb in den Zukunftsmärkten entwickelt sich jedenfalls sehr schnell und wer sich etablieren kann, entscheidet sich sehr kurzfristig. Insofern ist eine Neubewertung der Unternehmensstrategie vor dem Hintergrund der sich verändernden Rahmenbedingungen notwendig.
2. Dynamische Tarife gehören bald zum Standard
Zwar sind in diesem Jahr erst Versorger mit mehr als 200.000 Kunden in der Pflicht, dynamische Tarife anzubieten. Viele neue Geschäftsmodelle setzen jedoch darauf, von Flexibilitäten zu profitieren und Lastmanagement anzubieten. Dazu braucht man Kunden mit Lastverschiebungspotenzial, also vor allem EFH-Besitzer mit PV-Anlage, Speicher, E-Auto und Wärmepumpe, also die Kunden mit dem höchsten Wertbeitrag. Grund genug, für diese Kunden maßgeschneiderte Produkte zu entwickeln.
3. Neue Tarife- und Beschaffungsmodelle müssen Komplexität des Marktes abbilden
Mit dynamischen Tarifen allein ist es aber nicht getan. Dem Potenzial, das sich aus netzdienlichem Verhalten und der Möglichkeit, auf Preisschwankungen an den Börsen zu reagieren, ergibt, steht der Wunsch der meisten Kunden nach Preisstabilität entgegen. In Zukunft wird man also hybride Preismodelle benötigen, die den Umgang mit schwankenden Preisen salonfähig machen und den Kunden nicht überfordern. Dabei werden klassische Beschaffungsmodelle an ihre Grenzen stoßen. Es müssen also neue Ansätze im Einklang mit geeigneten vertraglichen Regelungen her.
4. Verbraucherschutz wird jetzt wirklich umgesetzt
Man spricht schon von neuen regulatorischen Eingriffen in den Energiemarkt, obwohl die vielen neuen Regelungen des Gesetzes für faire Verbraucherverträge noch gar nicht vollständig in Kraft getreten sind. Im März und Juli ist es aber soweit. Dann verlängern sich neue Verträge nach der Erstvertragslaufzeit nur noch um einen Monat und der Kündigungsbutton muss auf der Webseite gut sichtbar untergebracht werden. Wer sich noch nicht damit auseinandergesetzt hat, für den ist es jetzt höchste Zeit.
5. PV-Markt boomt
Um die Ziele der Bundesregierung zu erreichen, bis 2030 200 GW PV-Leistung am Netz zu haben, sind pro Jahr fast 16 GW Zubau notwendig. Diese sollen sich jeweils hälftig auf Dach- und Freiflächenanlagen verteilen. Dies ist ein immenses Potenzial, das man als Energieversorger zumindest zum Teil heben sollte. Im Wettbewerb tun sich aktuell national agierende Startups und Plattformen wie 1komma5 Grad oder Enpal hervor, während auch manch großer Versorger am Aufbau flächendeckender PV-Installations-Kapazitäten arbeitet. Diese Unternehmen versuchen vor allem den Vertrieb und die Installationsleistungen zu bündeln und gleichzeitig die Nachfragemacht für die Komponentenbeschaffung zu erhöhen. Gerade Stadtwerke brauchen eine PV-Strategie im Hinblick auf Vertrieb, Installation, Service und die Reststromlieferung, um gegen die neuen Wettbewerber bestehen zu können.
6. E-Mobilität nicht zu stoppen
15 Mio. reine E-Fahrzeuge bis 2030. Auch hier hat die neue Bundesregierung die Ziele nochmals deutlich höher gehängt und will für eine schnelle Marktdurchdringung sorgen. Dafür braucht es neben den Fahrzeugen vor allem Lademöglichkeiten und Strom. Die Herausforderungen für Energieversorger sind ganz ähnlich wie bei PV, Heimspeichern und anderen Leistungen. Und auch hier gilt: nur wer smarte Lösungen bietet, kann mitspielen und gewinnen.
7. Heizen neu gedacht
Der Heizungsmarkt wird ein wichtiger Bestandteil der Energiewende im Gebäudebereich. Der jahrelange Sanierungsstau muss jetzt aufgelöst werden und wird auch zu einer stärkeren Elektrifizierung des Heizungsbereichs führen. Wärmepumpen werden sowohl als steuerbare Lasten als auch für die Optimierung des Eigenverbrauchs bei größeren PV-Dachanlagen eine wichtige Rolle einnehmen. Im Zusammenspiel mit PV und E-Mobilität entsteht so ein neuer, logisch zusammenhängender Energie-Dienstleistungssektor, der einer zentralen und smarten Steuerung bedarf.
8. Der Smart Meter steht im Mittelpunkt
Tatsächlich wird der Smart Meter in Zukunft im Zentrum des Energiesystems stehen und alle Energieflüsse idealerweise sekundengenau messen und entsprechend abrechenbar und steuerbar machen. Vertrieblich besteht die Chance, den Smart Meter als Teil von anderen Energiedienstleistungen mitzuverkaufen, da der Nutzen der Services ohne den smarten Zähler nur bedingt entstehen kann. Ein strategisch geplanter, beschleunigter Rollout kann die Position von Stadtwerken im Markt stärken.
9. Bündelprodukte sind gekommen, um zu bleiben
Ein zentraler Aspekt der bislang genannten Themen ist die Schaffung von Bündelprodukten, über deren gemeinsame Nutzung Synergieeffekte entstehen. Nur im engen und smart gesteuerten Zusammenspiel von dezentraler Erzeugung und Verbrauch, bezogen auf einzelne Gebäude, Straßenzüge oder Quartiere, können sich die Vorteile der Vernetzung voll entfalten. Wer alles aus einer Hand anbieten und die entsprechenden Mehrwerte daraus generieren kann, wird zudem im Markt dauerhaft erfolgreich sein können. Auch die naheliegenden Bündelangebote aus Strom und Gas, ggf. noch gekoppelt mit weiteren Verträgen oder Hardware, bleiben relevant, wobei der Trend sicherlich zum Energie-Dienstleistungsbündel gehen wird.
Bei der Vielfalt der neuen Themen, die auch immer im Kontext der Digitalisierung betrachtet werden müssen, ist eine objektive Bewertung der Rahmenbedingungen sowie der eigenen Chancen und Risiken in den Teilmärkten grundlegend für den Erfolg. Gerne begleiten wir Sie bei der Prüfung der Optionen vor dem Hintergrund Ihrer individuellen Strategie und Voraussetzungen.