Analyse für Vertriebe: Einheitliche Netzentgelte & Stromprodukte

Zahlreiche Energieversorger sehen sich zum Jahreswechsel gezwungen, ihre Strompreise aufgrund gestiegener Umlagen und Netzentgelte anzupassen. Strompreiserhöhungen können, abhängig von Qualität und Zeitpunkt der Kommunikation der Preisanpassung, zu Kundenverlusten führen. Die stetig steigenden, nicht-beinflussbaren Fixkosten wirken sich auch zusehends auf die zukünftige Produktgestaltung bei Stromtarifen aus, da Versorger schon heute den Grundpreis tendenziell stärker als den Arbeitspreis anheben.

Vor allem die neuen Entgelte der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT und 50Hertz für das Jahr 2017 haben in jüngster Vergangenheit eine lebhafte Diskussion um die regional ungleiche Belastung von Endverbrauchern mit Netzentgelten entfacht. Verbrauchervertreter, Energieversorger, Politiker sowie die ÜNB aus den stärker belasteten Regionen befürworten nachdrücklich bundesweit einheitliche Übertragungsnetzentgelte. Aber es regt sich auch Widerstand aus Regionen, die weniger belastet sind.

Massive Entgelterhöhungen bei TenneT und 50Hertz

TenneT und 50Hertz werden die Übertragungsnetzentgelte um 80 bzw. 42 Prozent anheben, während TransnetBW und Amprion nur fünf bzw. zehn Prozent höhere Entgelte aufrufen. Die hohen Steigerungsraten sind vor allem auf die vermehrt erforderlichen Redispatch-Maßnahmen und auf die Kosten des Einspeisemanagements zurückzuführen. Laut e‘net wird der Strompreis im bundesweiten Durchschnitt für einen Familienhaushalt mit einem Verbrauch von 4.000 kWh allein durch die Übertragungsnetzentgelte um 10,5 Prozent oder 31 Euro (netto) steigen.

Entwicklung der Entgelte der vier ÜNB

Aufgrund ausgeprägter regionaler Unterschiede geht die Steigerung vor allem zulasten von Endverbrauchern in den Netzgebieten von TenneT und 50Hertz.

Zahlreiche Akteure fordern einheitliche Übertragungsnetzentgelte

Dass Endkunden in Ostdeutschland oder auch in Bayern aufgrund ihres Wohnorts stärker als andere belastet werden, halten zahlreiche energiewirtschaftliche Akteure für unfair. Sie sehen die Akzeptanz der Energiewende gefährdet. 14 nordbayerische Stadtwerke fordern im Rahmen der Initiative „Energiewende bezahlbar“ und mittels eines offenen Briefes an Angela Merkel eine bundesweite Angeleichung der Übertragungsnetzentgelte und schließen sich damit der Position von bspw. Agora Energiewende, TenneT und 50Hertz an.

Die Befürworter stoßen bei der Bundesregierung auf offenen Ohren. So hat das BMWi Anfang November einen Referentenentwurf für ein „Netzentgeltmodernisierungsgesetz“ (NEMoG) vorgelegt, in dessen Rahmen das Energiewirtschaftsgesetz und die Stromnetzentgeltverordnung u.a. im Sinne bundesweit einheitlicher Übertragungsnetzentgelte angepasst werden sollen. Für jeden ÜNB sollen weiterhin individuelle Erlösobergrenzen festgelegt und die daraus hervorgehenden Übertragungsnetzentgelte über einen Umlagemechanismus vereinheitlich werden. Die aus einem bundesweit einheitlichen Übertragungsnetzentgelt resultierenden Mehr- oder Mindererlöse würden unter den ÜNB verrechnet werden.

Gegner fürchten um Wettbewerbsfähigkeit in Westdeutschland

ewi Energy Research & Scenarios hat im Auftrag von Amprion die Auswirkungen dieses regulatorischen Eingriffs auf die Letztverbraucher quantifiziert. Die Struktur der Belastung im Bundesgebiet würde erheblich verändert. Erwartungsgemäß sind dabei das Netzgebiet sowie die Spannungsebene des Konsumenten entscheidend. Wer sich in den Netzgebieten von TenneT oder 50Hertz befindet, würde entlastet, während Verbraucher in den Netzgebieten von Amprion und TransnetBW stärker belastet würden. Das Ausmaß der Veränderung hängt dabei von der Spannungsebene ab, an die der Endkunde angeschlossen ist. Je höher die Spannungsebene, desto stärker die Auswirkungen.

Für einen Haushalt mit einem Verbrauch von 3.500 kWh pro Jahr stiegen die Übertragungsnetzentgelte im Jahr 2017 um bis zu 6,3 Prozent in den Netzgebieten von Amprion und TransnetBW während in den anderen Übertragungsnetzen mit einem Rückgang um bis zu 3,2 Prozent zu rechnen wäre. Industriekunden auf Höchstspannungsebene würden um bis zu 72 Prozent stärker belastet bzw. um bis zu 28 Prozent entlastet.

Quantitative Auswirkungen bundesweit einheitlicher Übertragungsnetzentgelte

Gegner bundesweit einheitlicher Übertragungsnetzentgelte wie etwa die ÜNB Amprion und TransnetBW sowie Politiker, Energieversorger, Unternehmen und die Landesverbände des BDEW und VKU aus dem Westen greifen vor allem den zu erwartenden Kostenanstieg auf. Sie fürchten um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und lehnen höhere Belastungen für die Verbraucher ab. Diese Argumentation lässt aber außer Acht, dass die Belastung mit Netzentgelten nicht durch den Wohnort bedingt sein sollte, da die Energiewende ein gesamtgesellschaftliches Projekt darstellt, bei dem die Kosten fair verteilt werden sollten. Schließlich wurde auch die EEG-Umlage Anfang 2010 bundesweit vereinheitlicht. Die Diskussion ist also in vollem Gange und wird wohl bis weit bis in das nächste Jahr und ggf. in den Bundestagswahlkampf 2017 hinein reichen.

Einheitliche Verteilnetzentgelte als weiterer Schritt

Neben einheitlichen Übertragungsnetzentgelten werden auch immer wieder einheitliche Verteilnetzentgelte gefordert. So könnten bspw. laut einem Positionspaper von 50Hertz „eine faire Verteilung der Kosten der Systemintegration erneuerbarer Energien [erreicht] und Marktprozesse effizienter [gestaltet werden]“. Aktuell sind die Netzentgelte für Haushaltskunden in den neuen Bundesländern im Durchschnitt 54 Prozent höher als im Westen. Ein Ausgleich könnte den ostdeutschen Haushalten deutliche Entlastungen bringen, während im Westen überwiegend mit Mehrkosten zu rechnen wäre.

Sollte es tatsächlich irgendwann zu einer Vereinheitlichung der Verteilnetzentgelte kommen, wären Abgaben, Steuern und Netzentgelte bundesweit gleich. Wenn auch die Konzessionsabgaben durch einen Ausgleichmechanismus vereinheitlicht würden, könnten alle Anbieter bundesweit einheitliche Preise kalkulieren und müssten nicht mehr auf regionale Besonderheiten eingehen. Dies würde es Vertrieben ermöglichen, einen bundesweit einheitlichen Preis anzubieten.

Ob sich der bürokratische Aufwand für die Umverteilung zwischen hunderten von Verteilnetz- und Messstellenbetreibern sowie ggf. Kommunen lohnt, ist allerdings eine andere Frage.

Flatrates benötigen Abkehr von der verbrauchsabhängigen Kalkulation

Die Pläne und Forderungen zur Vereinheitlichung der Netzentgelte zeigen, dass die ungleiche Lastenverteilung bei den Netzentgelten, ausgelöst durch die Energiewende und die Digitalisierung, als Problem erkannt wurde. Langfristig wird aber auch die Diskussion zu führen sein, ob die verbrauchsabhängige Erhebung von Netzentgelten und Umlagen nicht durch andere Modelle, z.B. leistungsabhängige Angebote, ersetzt werden muss.

Langfristig wird es aber vermutlich nicht nur um eine Vereinheitlichung der Netzentgelte, sondern auch um die Veränderung der Berechnungsgrundlage gehen. Je häufiger Endverbraucher mit dezentralen Energielösungen ihre Abhängigkeit vom Netz und damit ihre Netznutzung reduzieren, desto stärker verteilen sich die Kosten des Netzbetriebs auf eine geringere Anzahl von Verbrauchern bzw. aus dem Netz bezogenen kWh. Um hier Gerechtigkeit zu schaffen, werden andere Kalkulationsgrundlagen, z.B. für die Netzbereitstellung oder die verfügbare Leistung angesetzt werden müssen, was sich dann eher in festen Preisen als verbrauchsabhängigen Größen darstellen ließe. In Verbindung mit anderen Einflüssen wie dem immer höheren Anteil erneuerbarer Energien an der Erzeugung, den geringen Grenzkosten dieser Energieträger könnte dann auch der Weg zu echten Flatrates, die keine eigenen Erzeugungsanlagen oder Speicher benötigen, geebnet werden.

Trotzdem entwickeln sich diese Geschäftsmodelle bereits heute und eröffnen interessante Möglichkeiten zur Produktentwicklung und Kundenbindung. Für einen unverbindlichen Austausch zu diesen Möglichkeiten stehen wir gerne zur Verfügung.

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